WiWi Gast schrieb am 08.02.2018:
Für den Einstieg in die Fragerunde wäre es ganz interessant zu wissen wie du Boutique-Beratung definierst. Einige Berater definieren auch "große" Beratungen, wie zum Beispiel Horváth oder zeb, als Boutique. Wie viele Berater sind bei euch im Unternehmen tätig? Was ist der große Unterschied zwischen der Boutique-Kultur und der Kultur bei großen Beratungen?
Sehr guter Einwurf!
Ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit sieht mein Basis-Verständnis einer Consulting-Boutique folgendermaßen aus:
- Anzahl MA < 1000
- Einsatzgebiet: primär national
- Keine Up-or-Out-Kultur
Demnach würde ich BearingPoint oder msg systems nicht als Boutiquen verorten.
Bei weiterer Unterteilung merkt man schnell, dass es mehrere Klassen von Consulting-Boutiquen gibt, z. B.:
- Beratungs-Portfolio: hochspezifisch vs. breit gestreut
- Berater-Demographie: primär berufserfahrene Experten vs. großer Anteil an Berufsanfängern
Eine Boutique mit hochspezifischem Beratungs-Portfolio, die aus primär berufserfahrenen Experten besteht, bedient i.d.R. eine oder wenige Nischen (z. B. Utilities / Energiesektor) und berät - ähnlich wie MBB - auf höchster Entscheiderebene - und fährt sehr hohe Tagessätze.
Nimmt man die Boutique mit breit gestreutem Beratungs-Portfolio, bei der ein großer Anteil (z. B. 1/3) der Belegschaft aus Berufsanfängern besteht, wird entsprechend geringeren Einfluss auf Klientenseite haben und niedrigere Tagessätze fahren.
Ich könnte weiter klassifizieren, doch das würde an der Grundidee des Thread vorbeiführen.
Ich schildere Euch gerne anhand der Consulting-Boutique, in der ich arbeite, die wesentlichen Unterschiede zu Big 4 und MBB. Da ich auch einige andere Consulting-Boutiquen mit ähnlichen Charakteristika kenne, kann ich zumindest soviel sagen: mein Arbeitgeber ist repräsentativ für eine bestimmte Klasse von Consulting-Boutiquen.
Um Deine weiteren Fragen konkret zu beantworten:
WiWi Gast schrieb am 08.02.2018:
Wie viele Berater sind bei euch im Unternehmen tätig?
Ca. 200 MA, verteilt auf 4 Standorte in Deutschland.
WiWi Gast schrieb am 08.02.2018:
Was ist der große Unterschied zwischen der Boutique-Kultur und der Kultur bei großen Beratungen?
- Bei uns herrscht kein Up-or-Out.
- Folglich gibt es eine Menge "Durchschnitts-Performer".
- High-Performer haben wir auch. Ich zähle mich zu diesen. Was einen High-Performer ausmacht, ist sein Engagement.
Verantwortung / Engagement drückt u. a. aus durch
- die Mitarbeit in einem oder mehreren strategisch wichtigen Projekten
- internes Business Development
- Erweiterung des Beratungsportfolios
- Vertrieb - gerade der Vertrieb hat's in sich: Presales, Postsales, RFPs etc.
- Marketing (Konferenzbesuche, Publikationen etc.)
Engagement ist folglich ein Karrieremultiplikator: dadurch steigt man schneller auf und verdient schneller mehr Gehalt. Das klingt geil und ist es auch, da tatsächlich der Unternehmergeist gefordert ist. Je mehr man sich und das Unternehmen voranbringt, desto besser wird man bei uns als Unternehmensberater.
Allerdings kann nicht jeder mit dieser Selbstständigkeit umgehen. Was uns wieder zu den Normal-Performern bringt. Diese sind i.d.R. glücklich, wenn sie ihr Projekt meistern und nach 40h Freitags ins Wochenende gehen. Andere wiederum verlassen das Unternehmen, da diese nicht kreativ genug sind, mit den Freiheitsgraden umzugehen. Das sind Leute, die sich in der reinen Projektarbeit sehr gut entwickelt haben und in Projekten extrem gut performen (nicht nur von der Faktura her), aber kein Interesse am o. g. Engagement haben.
Ein weiteres Kriterium, das uns von den Großen unterschiedet und High Performer demotiviert:
ganz oben ist wenig Platz. Wir sind ein Partner-geführtes Unternehmen. Ich habe zwar aufgrund meines konstant hohen Engagements Unternehmensanteile erwerben dürfen, doch das ist eine reine Gewinnbeteiligung. Als Senior Manager bin ich Bereichsleiter und leite Manager, die wiederum Teams führen. Innerhalb meines Bereichs habe ich nahezu völlig freie Hand bzgl. inhaltlicher Ausgestaltung, Marktangang, Staffing und Akquise. Aber die strategische Ausrichtung des Unternehmens maßgeblich mitzubestimmen, dazu fehlt mir die Macht.
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