Wiwi-Treff... und die Realität
Da ich gerade dabei bin, Bewerbungsunterlagen zu sichten, möchte ich mal zur Diskussion stellen, wie stark die Vorstellungen bzgl. Karriere hier im Forum überzogen sind. Es war mir schon immer klar, dass hier einerseits viel getrollt wird, andererseits auch nicht der Durchschnitt repräsentiert wird, trotzdem hat mich das heute mal wieder ziemlich auf den Boden zurückgeholt.
Drei beispielhafte Profile, es geht um eine Stelle im Controlling in einem Konzern in Bayern.
Kandidat 1:
Bachelor an guter FH 2,6
Passender Schwerpunkt, dieser mit 1,7
mehrere passende Praktika
Passende zusätzliche Weiterbildung
Hat vor dem Studium ein Projekt über 1 Jahr betreut, das inhaltlich sehr gut zum jetzigen Job passt
Passende IT-Kenntnisse
2 Fremdsprachen verhandlungssicher
Aber: Sucht seit knapp 2 Jahren Job, Gehaltswunsch nur 36k p.a. (wohl wegen langer Jobsuche)
Kandidat 2:
Bachelor und Master an guter FH 2,1 / 1,8
Passender Schwerpunkt
1 passendes Praktikum
5 Jahre Tätigkeit im Familienunternehmen neben dem Studium
IT-Kenntnisse ok, aber schlechter als Kandidat 1
Englisch fließend
Erst eben mit dem Studium fertig geworden, sucht also noch nicht lange, trotzdem Gehaltswunsch ebenfalls nur 36k p.a.
Kandidat 3:
kaufm. Ausbildung vor dem Studium
Bachelor + Master an staatlicher Uni im Mittelfeld 2,6 / 2,2
Passender Schwerpunkt
1 Jahr Berufserfahrung
1 passendes Praktikum im Studium
Passende zusätzliche Weiterbildung
IT-Kenntnisse zwischen Kandidat 1 und 2
Englisch nur gut
Arbeitslos seit 6 Monaten
Gehaltswunsch 38k p.a.
Das sind jetzt keinesfalls die negativen Ausreißer, sondern durchaus noch normal. Die Leute passen fachlich, haben passende Praxis, Noten sind für mich ok. Trotzdem bekommen sie gefühlt kein Bein auf den Boden, wenn ich mir die Lebensläufe ansehe. Richtig krasse Fälle sind auch dabei, z.B. mehrfach Bewerbungen mit mehr als 5 Jahren Aushilfsjobs, ABM, Praktika nach dem Studium. Wir sind ein internationaler Konzern mit 50.000 Mitarbeitern, also jetzt auch nicht die Klitsche wo sich nur der "Bodensatz" bewirbt.
Für mein Empfinden ist das durchaus repräsentativ. Ich bin nun schon lange im Job, aber selbst damals als ich eingestiegen bin war es schon so, dass es nicht einfach war. Ich kenne einige Kommilitonen, die niemals in einen Job gekommen sind, wie sie in angestrebt haben. Ich kenne viele, welche von Gehältern wie sie hier im Forum kursieren nur Träumen können. Bewerbungen wie die drei genannten habe ich mittlerweile wirklich stapelweise bekommen.
Wie passt dies zum Bild vom "BWLer", wie es hier im Forum vorherrscht? Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass sich unterhalb der "Top-Performer" immer mehr Dinge abspielen, die man eher den Sozi-, Geschichts-, Bio, etc -studenten zuschreiben würde. Da gibt es sehr viele für die sich das Studium nicht gelohnt hat, die massive Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben und wenn es dumm läuft schlicht nie einen regulären Job mit einigermaßen angemessenem Gehalt haben werden. Für mich ist das ein Thema, welches gerade bei BWL deutlich zu kurz kommt, schließlich heißt es ja immer "damit kommt man schon irgendwo unter". Meiner Meinung nach ist "unser" Fachbereich mittlerweile viel stärker von prekären Verhältnissen geprägt als die meisten wahrhaben wollen.
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